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Expediting im Anlagenbau für die pharmazeutische Industrie - zur richtigen Zeit in der richtigen Qualität am richtigen Ort

Abstract

Maschinen oder Systeme in der Pharma-Endfertigung (Einwaage, Formgebung, Abfüllung, Kontrolle, Verpackung etc.) werden im Rahmen von Investitionsprojekten häufig als Package Units geplant, beschafft und installiert. Als Package Unit werden Maschinen mit integriertem Steuerungssystem bezeichnet. Diese Einzelanlagen oder Linien aus mehreren Einzelanlagen, müssen nach der Lieferung beim Hersteller in ein Gesamtsystem intergiert werden. Um sicher zu stellen, dass die Integration reibungslos verläuft und nicht das Gesamtprojekt ins Stocken bringt ist die Begleitung des Maschinenherstellers während der Planung und Realisierung der Maschine oder Linie unerlässlich, das sogenannte «Expediting».

Dieser Artikel soll dem Leser eine Übersicht über die folgenden Punkte geben:

  • Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff «Expediting»?
  • Was soll mit dem Expediting erreicht werden und wie ist das Vorgehen diesbezüglich im (Gesamt)-Projekt?
  • Mit welchen Werkzeugen kann ich das Expediting unterstützen und umsetzen?
  • Wie lässt sich der für das Expediting erforderliche Aufwand frühzeitig abschätzen?
  • Was sind mögliche Risiken beim Expediting?

Einleitung

Stellen Sie sich einmal folgendes Szenario vor: Der große Saal im Theater, ausverkauftes Haus, die Schlüsselszene des letzten Akts steht an. Alle Darsteller sind auf Position, gleich hebt sich der Vorhang. Aber halt! Einer fehlt: Der Hauptdarsteller! Die Blicke des gesamten Theaterensembles ruhen jetzt auf Ihnen. Denn Sie sind der Regisseur. Ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass alles läuft, dass jeder Beteiligte rechtzeitig an seinem Platz ist und dass jeder seinen Text kann. Und alle Blicke fragen das Gleiche: Und jetzt? Wo ist der Hauptdarsteller? Wann kommt er? Wie geht es weiter?

So in etwa muss es sich anfühlen, wenn man erfährt, dass im Pharmaprojekt das geplante Prozessequipment nicht rechtzeitig geliefert werden kann. Die Reinraumdecke wartet darauf, geschlossen werden zu können. Die Lüftung könnte eigentlich auch schon eingeregelt werden. Wenn denn die Decke geschlossen wäre. Und wenn die Lüftung liefe, könnte der Reinraumstatus hergestellt werden. Und so weiter und so weiter… Und dabei ist der Liefertermin der Prozessanlage nur einer der drei kritischen Faktoren Zeit, Kosten und Qualität.

Viele Maschinen oder Linien für die pharmazeutische Industrie, gerade im Bereich der Pharma-Endfertigung (Formgebung, Abfüllung, Verpackung etc.) werden als Package Unit, das heißt als Paket inklusive der zugehörigen Steuerung, geliefert. Dieses Paket muss in die Gesamtanlage beim Hersteller integriert werden. Um sicher zu stellen, dass dies reibungslos geschehen kann und das Gesamtprojekt nicht in Stocken gerät ist die Begleitung des Maschinenherstellers in Form eines mehr oder weniger strengen Expeditings durch den Bauherrn unerlässlich.

Definition

Im allgemeinen Sprachgebrauch in der Industrie wird der Begriff des Expeditings damit beschrieben, dass man im engeren Sinne „zu Fuß aus dem Unternehmen herausgehen“ sollte (lateinisch ex = heraus, pedes = Füße) um zu überprüfen, dass der Fertigungsfortschritt der bestellten Ware den Erwartungen entspricht. [1] Warten Sie also nicht einfach darauf, dass die Systeme zu Ihnen kommen. Gehen Sie frühzeitig zu Ihren Lieferanten, um den Fortschritt der Bestellung zu überprüfen. Das Expediting umfasst dabei jegliche erforderlichen Außenaktivitäten eines Unternehmens, um den in Bestellung befindlichen Auftragsbestand bei seinen Zulieferern zu überprüfen. Dabei werden vor allem Objekte überprüft, die eine lange Durchlaufzeit zu ihrer Fertigung benötigen und somit terminkritisch für den Abschluss eines Gesamtprojekts sind. Die Prüfung erfolgt dabei in der Regel unter qualitativen und terminlichen Aspekten.

Im Pharma- bzw. Anlagenbauprojekt umfasst das „Expediting“ alle erforderlichen Maßnahmen ab Bestellung einer Ware und/oder Dienstleistung, die zu ergreifen sind, um sicherzustellen, dass das was bestellt wurde termingerecht, kostengerecht und in der geforderten Qualität auf die Baustelle geliefert wird.

Abbildung 1: Durch das Expediting wird sichergestellt, dass die bestellte Dienstleistung oder Ware termingerecht, kostengerecht und in der geforderten Qualität geliefert wird

Ziel

Die im Rahmen des Expeditings getroffenen Maßnahmen stellen dabei ein Gesamtpaket dar, welches während des gesamten Planungs- und Fertigungsprozesses einen übergreifenden Blick auf den Status der bestellten Anlage erlaubt. Dabei werden zwei wesentliche Ziele verfolgt: Neben der Vermeidung terminlicher Fehlentwicklungen in der Planung, Konstruktion, Fertigung und Auslieferung beim Anlagenlieferanten sollen durch frühzeitige Expediting-Aktivitäten seitens des Bauherrn (oder des durch ihn beauftragten Unternehmens) auch Interessenskonflikte zwischen Auftraggeber und dem Anlagenlieferanten vermieden werden. Sind sich alle Beteiligten von Anfang über den Lieferumfang einig, ist so mancher unschönen Diskussion um Erwartungen auf Kundenseite einerseits und hierfür notwendige Aufwände auf Lieferantenseite schon mit dem Projektstart der Nährboden entzogen.

Um diese Ziele zu erreichen, sollte das Projekt beim Lieferanten durch den Bauherrn oder seinen Delegierten über die gesamte Projektphase von der Bestellung bis zur Lieferung betreut werden. Hierdurch können drohende Abweichungen bei der Planung und Umsetzung gegenüber dem vereinbarten Lieferumfang sowie bei Qualität und Kosten durch rechtzeitiges Gegensteuern verhindert werden. Ein frühzeitiges Einleiten von gemeinsam mit dem Anlagenlieferanten definierten vorbeugenden Maßnahmen unterstützen einen reibungslosen Projektablauf.

Leistungen

Die typischen Leistungen für das Expediting variieren je nach Komplexität des zu beschaffenden Systems beziehungsweise nach Größe und Umfang des Gesamtprojekts. Prinzipiell werden im Zuge des Expeditings die folgenden Leistungen erbracht:

  • Eine frühzeitige Unterstützung des technischen Einkaufs, beispielsweise durch Teilnahme an technischen Klärungsgesprächen oder an Vergabegesprächen
  • Unterstützung der Teilprojektleiter, Systemverantwortlichen und Planungsingenieure
  • Überwachung des Lieferanten betreffend die Liefertermine, Ausführungsqualität und Dokumentation
  • Koordination und Durchführung der Lieferantenbesuche und Abnahmen
  • Führen des Berichtswesens zur Fortschrittskontrolle

Abbildung 2: Die vier Kernthemen des Expeditings, aus denen sich die erforderlichen Aktivitäten ergeben

Inhalte / Vorgehen

Das Dokument, in welchem der vereinbarte und somit zu erwartende Lieferumfang verbindlich zwischen Anlagenlieferant und Kunde festgehalten ist, ist die schriftliche Bestellung bzw. die Auftragsbestätigung des Lieferanten. Diese Vertragsdokumente stellen daher auch die Basis für das Expediting dar. Startpunkt für das Expediting ist somit der abgeschlossene Bestellvorgang. Basierend auf dem Umfang der Bestellung sollte auf Seiten des Planers eine erste Abschätzung des zu erwartenden Aufwands für das anstehende Expediting vorgenommen werden. Dies kann durch die Definition verschiedener Kontroll-Level erfolgen, wobei je nach Komplexität des bestellten Systems ein höheres Kontroll-Level gewählt wird. Als Faustregel gilt: Je höher das Kontroll-Level, desto umfangreicher die erforderlichen Maßnahmen. Werden zum Beispiel für ein bestehendes System nur Einzelkomponenten ergänzt oder ausgetauscht, beschränkt sich das Expediting ggf. auf ein regelmäßiges Telefonat und eine Wareneingangskontrolle bei Lieferung. Wird jedoch beispielsweise eine komplexe Abfüll- oder Verpackungslinie beschafft, so ist der Aufwand ungleich höher und wird sicherlich regelmäßige Jour Fixe Meetings, Fortschrittskontrollen beim Lieferanten und ein detailliertes Reporting über den Projektfortschritt umfassen.

Sind die erforderlichen Maßnahmen für das Expediting definiert kann im nächsten Schritt der Fahrplan für die Expediting-Aktivitäten erstellt werden. Bewährt hat sich eine Definition von Meilensteinen für den Fortschritt von

  • Konstruktion
  • mechanischer Fertigung
  • Elektroinstallation
  • Programmierung / Automatisierung
  • Qualifizierungsdokumentation sowie technischer Dokumentation.

Diese Meilensteine wiederum dienen der Planung verschiedener Design Reviews, welche unterschiedliche Zwecke haben. Zum einen kann der Lieferant in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen in der Planungsphase den Projektfortschritt beim Kunden vorstellen und gleichzeitig noch offene Punkte abstimmen. Zum anderen geben sie dem Kunden schon früh eine erste Idee wie seine Anlage aussehen wird, wobei sich im Projektverlauf mit jedem weiteren Design Review ein immer detaillierteres Bild ergibt. Typische Themen für Design Reviews sind

  • Konstruktions-Design Review
  • 3D Design Review
  • Automatisierungs-Design Review
  • Dokumentations-Design Review

Der FAT und, bei komplexeren System, ein eventuell geplanter und durchgeführter Pre-FAT, sind Bestandteil des Expeditings. Dient der Pre-FAT der Feststellung, dass das System bereit zum FAT ist, ist der FAT an sich die Abnahme, durch welche der Lieferant in der Regel bei Bestehen die Lieferfreigabe erhält. Häufig werden bereits im FAT auch qualifizierungsrelevante Punkte geprüft. Eine entsprechende Überlappung von Projektphasen ist möglich, hier ist darauf zu achten, dass es keine Überschneidungen bei Prüfpunkten und Verantwortlichkeiten kommt. Den Abschluss findet die Expediting-Phase mit einer dokumentierten Wareneingangskontrolle auf der Baustelle.

Abbildung 3: Das Expediting beginnt mit der Bestellung, begleitet die gesamte Planungs- und Fertigungsphase des entsprechenden Systems und schließt mit der dokumentierten Wareneingangskontrolle auf der Baustelle ab

Expediting Tools

Neben der bereits erwähnten Kontroll-Level-Definition werden im Rahmen des Expeditings weitere Werkzeuge angewendet. Die meisten dieser Tools sind aus dem täglichen Projektgeschäft bekannt. Gezielt angewendet bilden sie das Handwerkszeug des Expediting-Managers. Das wesentlichste Element des Expeditings ist die Nachverfolgung des Fortschritts bzw. der definierten Meilensteine durch

  • Regelmäßigen Telefon- und E-Mailkontakt zwischen Expediting-Manager und Projektleiter auf Lieferantenseite
  • Fortschrittskontrolle durch vom Lieferanten zu erstellende Checklisten / Berichte (ggf. auch von Sub-Lieferanten)
  • Führung von Terminplänen und Abgleich mit dem Gesamt-Projektterminplan (ggf. können Terminpläne des Lieferanten direkt mit dem Gesamtterminplan verknüpft werden).
  • Erfassung von Änderungen in Plus-Minus-Listen
  • Mehr oder weniger regelmäßige Lieferantenbesuche
  • Dokumentierter Factory Acceptance Test (FAT) und, bei komplexeren Systemen auch der Pre-FAT
  • Dokumentierte Wareneingangskontrollen auf der Baustelle

Faktoren für den Aufwand für «Expediting»

Wie bereits erwähnt, erfolgt zu Beginn des Projekts bereits eine grobe Abschätzung des Aufwands durch die Definition von Kontroll-Leveln.

Tabelle 1: Basierend auf der Komplexität des jeweiligen Systems können durch die Definition von Kontroll-Leveln in erster Näherung bereits vor Projektstart die für das Expediting erforderlichen Maßnahmen abgeschätzt werden

Der zu betreibende Aufwand für das Expediting hängt neben der Komplexität des geplanten Systems von einer Vielzahl dynamischer Faktoren ab. Beispielsweise steigt der Aufwand mit knapper werdenden Projekt-Timelines: Solange der Fortschritt verläuft wie geplant sind keine Eingriffe notwendig. Deutet sich aber an, dass Meilensteine (z.B. ein vorab definierter Design Review) nicht gehalten werden können, ist ein korrigierender Eingriff durch den Expediting Manager erforderlich. Ähnliches gilt für die aktuelle Situation beim Lieferanten. Sind dort in der Konstruktion, Fertigung und Dokumentation ausreichend Kapazitäten vorhanden, kann davon ausgegangen werden, dass das Projekt in ruhigem Fahrwasser verläuft. Drohen aber Engpässe (z.B. auf Grund von gehäuften Krankheitsausfällen zur Grippesaison) ist ein rechtzeitiges Gegensteuern erforderlich, um die Endtermine nicht zu gefährden.

Abbildung 4: Der zu betreibende Aufwand für das Expediting hängt von der Komplexität des Systems ab, aber auch von dynamischen Faktoren wie der Einhaltung von Meilensteinen oder der verfügbaren Kapazitäten beim Lieferanten

Periodische Prüfung ob definierte Maßnahmen noch adäquat

Die einmal definierten Kontroll-Level dürfen also im Projektverlauf keinesfalls als fix angesehen werden, sondern sind durch den Expediting Manager ständig zu hinterfragen und anzupassen. Selbstverständlich gilt dies in beide Richtungen: Wird festgestellt, dass der Projektfortschritt der ursprünglichen Terminplanung entspricht, kann überlegt werden in wie weit ggf. weniger Maßnahmen ausreichen. Besteht das Risiko, dass das Projekt ins Stocken gerät sind weitere Maßnahmen zu definieren und umzusetzen.

Abbildung 5: Maßnahmen für das Expediting müssen definiert, aber auch regelmäßig kontrolliert und, wenn erforderlich, auch korrigiert werden.

Risiken im Expediting

Eines der größten Risiken beim Expediting besteht in der fehlerhaften Einschätzung des erforderlichen Aufwands im Vorfeld des Projekts. Werden vorab zu wenige Aktivitäten eingeplant, stehen im laufenden Projekt möglicherweise nicht ausreichend Kapazitäten für den Expediting-Manager zur Verfügung (in Form von Ressourcen oder Budgets). Wird der erforderliche Aufwand zu hoch eingeschätzt kann dies dazu führen, dass das erforderliche Expediting im Gesamtprojektbudget einen übermäßigen Anteil einnimmt. Die bereits beschriebenen Kontroll-Level bieten die Möglichkeit, bereits frühzeitig eine erste Abschätzung vornehmen zu können. Je genauer die Kontroll-Level definiert sind, desto besser die daraus resultierende erste Definition erforderlicher Expediting-Maßnahmen. Ein weiteres Risiko für ein erfolgreiches Expediting ist ein unerwartet starker Anstieg des Aufwands im Verlauf des Projekts. Mögliche Ursachen für solch einen Anstieg sind häufige, späte und/oder umfangreiche Änderungen an dem bestellten System, die bereits als Beispiel genannten unerwarteten Engpässe durch Ausfall von Schlüsselpersonen oder beispielsweise unerwartete Lieferengpässe von Systemkomponenten oder Zukaufteilen. Um Fehlentwicklungen bzw. Abweichungen vom ursprünglich geplanten Expediting rechtzeitig zu erkennen, bedarf es der entsprechenden Nachverfolgung des Projektfortschritts. Geschieht dies nicht in dem erforderlichen Maß ist das nicht zwingend sofort erkennbar. Es besteht vielmehr das Risiko, dass sich auf Grund eigentlich notwendiger aber ausgebliebener Aktivitäten Themen aufstauen, welche die Projektabwicklung früher oder später ins Stocken bringen. Das Aufbauen einer solchen „Bugwelle“ gilt es daher von Beginn an zu vermeiden.

Erfolgsfaktor: Alle „spielen mit“

Bei der Umsetzung und Nachverfolgung der Aktivitäten muss der Expediting-Manager das richtige Fingerspitzengefühl beweisen. Der Anlagenlieferant darf das Expediting durch den Auftraggeber nicht als störend empfinden, und der Mehraufwand zum normalen Projektverlauf muss sich in Grenzen halten. Idealerweise ist der Auftragnehmer schon zur Anfrage bzw. in der Angebotsphase über Anforderungen an das Expediting informiert. Dadurch werden Mehrkosten für geforderte Aktivitäten und Leistungen auf Lieferantenseite und, schlimmstenfalls sogar Weigerung diese zu erbringen, vermieden.

Fazit:

Das Expediting ist eine unabhängige Instanz im Projektverlauf zur Sicherstellung der Fertigung und Lieferung von Gütern und Leistungen innerhalb der festgelegten Termine, den vereinbarten Kosten und der geforderten Qualität. Zwar bedeutet Expediting einen gewissen Aufwand, dieser lässt sich aber frühzeitig einplanen. In jedem Fall ist die für das Expediting von vornherein geplante Zeit gut investiert und rechnet sich später.

Vorhang auf für Ihren Projekterfolg!

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