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Müssen Medizinprodukte vor der Anwendung am Menschen am Tier getestet werden? Moderne Gesellschaft vs. hochspezialisierte Wissenschaft - ohne Aufklärung und Ehrlichkeit kein Verständnis kontroverser und komplexer Zusammenhänge

Einleitung

In unserer modernen Gesellschaft gibt es eine Menge an Themen, die kontrovers, emotional aufgeladen, laut und heftig diskutiert werden. Der Tierversuch ist ein solches Thema, welches die Gesellschaft spaltet und manchmal schier unüberbrückbare Gräben aufreisst. Ganze Industriezweige, wie die Pharmabranche, die Kosmetikindustrie, aber auch die chemische Industrie und eben nicht zuletzt Unternehmen, die Medizinprodukte entwickeln und herstellen, werden dabei unter Generalverdacht gestellt. Hierbei sind Betriebe anonym im Fokus, aber oft sind die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die ganz konkret am Tier arbeiten, persönlich betroffen. Häufig stoßen einfache Unwissenheit, Unverständnis und Nichtkenntnis der komplexen Zusammenhänge auf den sogenannten „Elfenbeinturm der Wissenschaft“ und erzeugen Misstrauen und Ängste. Hier ist wissenschaftliche Gemeinschaft gefragt, zu erklären, aufzuklären und transparent, ehrlich und offen darzustellen, was in den Laboratorien der einzelnen Institutionen gemacht wird. Ein wirklich gutes Beispiel hierfür ist die Initiative von Schweizer und mittlerweile vielen deutschen Wissenschaftlern in der „Basler Deklaration“ 1) (Bild 1). Diese zeigt gläsern, wie Versuchstiere in der Wissenschaft und Industrie ihren Beitrag zur Rettung von Leben, für unsere Sicherheit und die Erhöhung der Lebensqualität leisten.

Bild 1: Versuchstier Ratte, Quelle: Basler Deklaration

Tierversuche in der Medizintechnik

Medizinprodukte dürfen in Europa nur am Menschen angewendet werden, wenn sie ein CE-Zertifikat ausgestellt bekommen haben. Eine Zulassung weltweit ist ähnlichen Regularien unterworfen. Medizinprodukte müssen hierfür die im Anhang 1 der Richtlinie 90/385/EWG über aktive implantierbare medizinische Geräte beschriebenen grundlegenden Anforderungen unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung des Geräts erfüllen. Die Hersteller müssen den Nachweis erbringen, dass die grundlegenden Anforderungen erfüllt sind. Zu den grundlegenden Anforderungen gehört die sogenannte biologische Verträglichkeit der Medizinprodukte. Der Nachweis, gemäß §2 der Verordnung über Medizinprodukte (MPV) 2), kann derzeit nur mit einem Tierversuch gezeigt werden. Sogenannte „in vitro Methoden“ sind dabei mit berücksichtigt. Aber nach derzeitigem Stand der Wissenschaft kann auf Tierversuche noch nicht verzichtet werden. Zur Einhaltung der vom Gesetzgeber vorgegebenen Anforderungen sind in der DIN EN ISO 10993 die durchzuführenden Untersuchungen klar beschrieben. Für die Beurteilung der biologischen Sicherheit ist ebenfalls klar beschrieben, welche Materialien, welches Design, welche Abmaße und Vorsichtsmaßnahmen gewählt und beachtet werden müssen. Ein Medizinprodukt, beispielsweise ein in den Muskel zu implantierendes Produkt, darf das Gewebe, in das es implantiert wird, nicht schädigen. Auch der Betrieb des Implantates darf die Patientensicherheit nicht gefährden, sondern muss die Funktion, für die es entwickelt wurde, zu 100% ausfüllen und die Lebensqualität der Patienten wieder steigern. Sicherheit und Funktionalität stehen ganz klar im Vordergrund. Die Normenreihe zur biologischen Sicherheit und Verträglichkeit oder wissenschaftlich ausgedrückt für die Biokompatibilität von Medizinprodukten, ist sinnvoll in Untergruppen beispielsweise für Zytotoxizität, Blutvertäglichkeit, Implantation von Medizinprodukten, Hautverträglichkeit, systemische Toxikolgie aber auch grundsätzliche Fragestellungen wie allgemeine Materialeigenschaften und auch die des Tierschutzes unterteilt. Alle diese Teilbereiche haben mehr oder weniger hohe Anforderungen für die biologische Sicherheit, die im Tierversuch nachgewiesen werden muss.

Gesetzgebung

Doch bevor Wissenschaftler überhaupt mit den Tierversuchen beginnen dürfen, hat der Gesetzgeber einen weiteren Kontrollmechanismus zur Verfügung, um sicherzustellen, dass tatsächlich auf dem neusten wissenschaftlichen Stand gearbeitet wird und dass ausschließlich Wissenschaftler mit dem Tierversuch betraut werden, die dafür die notwendige Ausbildung und Erfahrung haben.

Seit 2013 wird zudem sichergestellt, dass in unserer mehr und mehr globalen Verantwortung eine europäische Harmonisierung der Standards für den Umgang mit Versuchstieren und dem Tierversuch selbst beachtet wird. Am 13. Juli 2013 ist in Deutschland das neue Tierschutzgesetz 3) in Kraft getreten. Am 13. August 2013 trat die entsprechende, komplett neue Tierversuchsverordnung 4) in Kraft. Damit wurde das deutsche Recht, insbesondere die revidierte EU-Richtlinie zum Tierschutz von 2010, angepasst [EU-Richtlinie 2010/63/EG, 5)]. Wenn all diese Vorraussetzungen erfüllt sind, klar beschrieben ist, was untersucht werden soll und wirklich ausgeschlossen ist, dass keine anderen Methoden angewendet werden können, um den Nachweis der Biokompatibilität zu erbringen, wird ein Tierversuch durchgeführt.

Die hier zum Einsatz kommenden Tiere repräsentieren alle Versuchstiere, die allgemein als bestmögliche Versuchstiere zur Erlangung der Ergebnisse im Vergleich zum Menschen anerkannt sind. In 2012 waren dies, mit eingerechneten Primaten, ca. 8% der insgesamt im Versuch stehenden Tiere in Deutschland für Medizinprodukte, siehe Bild 2. Insbesondere Mäuse, Ratten, Meerschweinchen und Kaninchen, aber auch Hunde, Minipigs und nicht zuletzt Primaten kommen zum Einsatz. Eine Vielzahl von Anwendungen sind zur Beurteilung der Biokompatibilität bekannt und werden angewendet. Diese beinhalten beispielsweise Prüfungen der Verträglichkeit von Materialien auf der Haut, wo eine Veränderung der Haut direkt am Tier gemessen wird. Materialien werden in verschiedenen Geweben implantiert um beispielsweise Einwachsverhalten, zelluläre Verträglichkeit oder Abbauprozesse für temporäre Implantate zu zeigen. Letztendlich zeigen sogenannte Funktionalitätsprüfungen fertiger, kompletter Medizinprodukte die einwandfreie und sichere Funktion eines Medizinproduktes, beispielsweise künstlicher Herzklappen, Stents oder Hüftendoprothesen (beispielweise im Schaf, siehe Bild 3), wie das tatsächlich baugleiche Medizinprodukt in der echten Anwendung in einem Organismus funktioniert und mit dem Organismus interagiert.

Bild 2: Tierversuche mit nicht-menschlichen Primaten aufgeteilt nach Zwecken. Quelle: Tierversuchszahlen 2012, BMEL. Abbildung: Deutsches Primatenzentrum/Christian Kiel

Bild 3: Versuchstier Schaf, Quelle: fotocommunity, Angela Doerks

Normungsarbeit

Hervorzuheben ist die Arbeit der ISO/TC 194/WG 3 im internationalen Harmonisierungsprozess der ISO Normreihe 10993 des Tierschutzes. Anerkannte Experten erarbeiten Vorschläge, die vor allem im Sinne von 3R (Replace, Reduce, Refine) die Belastung der Versuchstiere in allen Belangen spürbar verbessern. Es werden die Anforderungen der einzelnen Normen für den Tierversuche kritisch beurteilt, und in Zusammenarbeit mit den Experten der anderen Gruppen Verbesserungsvorschläge diskutiert und, wenn allgemein anerkannt, auch umgesetzt und angewendet. Hierbei ist hervorzuheben, dass dieser Prozess der Harmonisierung über den europäischen Gedanken hinaus geht, und die Arbeitsgruppe, geleitet von einem japanischen Kollegen, mit Kollegen aus allen Kontinenten besetzt ist und somit versucht, aktiv den Einsatz von Tieren zu minimieren, indem sichergestellt ist, dass ein Tierversuch an einem Medizinprodukt von allen Behörden auf der Welt anerkannt ist. Dies ist gelebter und sinnvoller Tierschutz!

Schlussbemerkung

Verantwortliche Wissenschaftler müssen Antworten auf die Fragen der modernen Gesellschaft finden, die einerseits einen kontinuierlichen Fortschritt in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung verlangt, als auch grundsätzlich hohe moralische Anforderungen an den Umgang mit Tieren stellt. Dies findet Ausdruck in einer veränderten europäischen und nationalen Gesetzgebung. Jedoch müssen unsere Bemühungen auch dahin gehen, dies global durchzusetzen und alle zulassenden Behörden weltweit dahingehend zu sensibilisieren, dass möglichst ein Standard anerkannt wird. Dafür werden neue Konzepte und Lösungen benötigt, wie die Standardisierung von Prüfungen beispielsweise durch die ISO Organisation. Nur so kann gewährleistet werden, dass einerseits die Sicherheit des Patienten im Vordergrund der Überlegungen beim Umgang mit Medizinprodukten steht, aber auch gleichzeitig die bestmöglichste Behandlung der zum Einsatz kommenden Tiere berücksichtigt wird.

Quellen:

1) Basler Deklaration, de.basel-declaration.org

2) Verordnung über Medizinprodukte (Medizinprodukte-Verordnung - MPV),  http://www.gesetze-im-internet.de/mpv_2002/

3) Tierschutzgesetz (TierSchG), www.gesetze-im-internet.de/tierschg/

4) Verordnung zum Schutz von zu Versuchszwecken oder zu anderen wissenschaftlichen Zwecken verwendeten Tieren (TierSchVersV), www.gesetze-im-internet.de/tierschversv/

5) Richtlinie zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere,  http://www.bfr.bund.de/cm/343/5_Beratung_Anlage%203_2010-63-EU.pdf

 

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