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Anforderungen für Händedesinfektionsmittel – oftmals unterschätzt!

Die anhaltende Corona Pandemie hat die Nachfrage für Desinfektionsmittel stark erhöht und hält sie weiter auf hohem Niveau. Manche Hersteller von Kosmetika, haushaltsüblicher Reinigungs- und Desinfektionsmittel oder klassischer Arzneimittel erkannten in den vergangenen 1 ½ Jahren in dieser Situation die Möglichkeit für ein neues Geschäftsfeld: Die Herstellung von Händedesinfektionsmitteln.

Die Anzahl der Produkte für Händedesinfektionsmittelprodukte ist damit seit dem Ausbruch der Corona Pandemie explosionsartig gestiegen.

Der Absatzmarkt dieser Produkte befindet sich vorzugsweise in Regionen und Ländern, in denen sich die meisten Menschen hohe Hygienestandards leisten können und für die sich die Hersteller große Gewinnmargen versprechen, wie z.B. in der Europäischen Union und den USA. Dies geht einher mit hohen rechtlichen und regulatorischen Anforderungen, die in diesen Ländern gelten.

In Europa gelten Händedesinfektionsmittel entweder als Biozidprodukte und müssen vor dem Inverkehrbringen in der EU gemäß der Verordnung über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (EU) Nr. 528/2012, kurz „Biozid-Verordnung“, zugelassen werden oder unterliegen einer Zulassung als Arzneimittel. In den USA sind die Voraussetzungen und Vorgaben für die Zulassung im amerikanischen Gesundheitsrecht zu Lebensmitteln, Arzneimitteln und Kosmetika, dem FD&C Act (Federal Food, Drug, and Cosmetic Act), festgelegt.

Eine Produktauslobung als Händedesinfektionsmittel, gegebenenfalls mit dem spezifischen Anspruch der Inaktivierung des SARS-CoV-2 Virus (Erreger von Covid-19 [Coronavirus Disease 2019]), hat rechtliche Folgen und kann sich bei Nichteinhaltung der geltenden regulatorischen und rechtlichen Anforderungen als wirtschaftlicher Erfolgskiller erweisen.

Diese Thematik wird im Folgenden mit Schwerpunkt auf den US-Markt erläutert.

Eine Produktion ist leicht umgesetzt – aber um welche Produktklasse handelt es sich eigentlich und was ist regulatorisch und rechtlich zu berücksichtigen?

Ein großer Teil der Hersteller von Kosmetika, von Haushaltsreinigern und Desinfektionsmitteln und von klassischen Arzneimitteln besitzt die technischen Möglichkeiten um Händedesinfektionsmittel herzustellen. D.h. die grundsätzlichen Voraussetzungen für eine Produktion sind gegeben. Je weiter sich für den jeweiligen Hersteller die Anforderungen der bisherigen Produkte und Produktionsprozesse von den Anforderungen für die neu in die Produktion aufzunehmenden Händedesinfektionsmittel unterscheiden, desto größer ist der Informations- und Ergänzungsbedarf für das Qualitätsmanagement, die Qualitätskontrolle und die Produktion solcher Produkte.

Hierzu gehört auch das Wissen, wie die Arzneimittel und ihre Wirkstoffe zu klassifizieren sind. In den USA sind Händedesinfektionsmittel als OTC (Over-The-Counter) Arzneimittel klassifiziert und werden weiter hinsichtlich der Anwendungsgebiete und Anwendungsart unterschieden.

  • consumer antiseptic rubs sind Händedesinfektionsmittel für Privatpersonen außerhalb des medizinischen Bereichs für die eine Anwendung ohne Wasser vorgesehen ist
  • Bei den antiseptic washes handelt es sich um Händedesinfektionsmittel, die zusammen mit Wasser angewendet werden (z.B. desinfizierende Seifen)
  • bei den healthcare antiseptics handelt es sich um Desinfektionsmittel, für die eine Verwendung im Bereich des Gesundheitssystems (u.a. Ärzte, Krankenschwestern, Sanitäter) in Krankenhauseinrichtungen und bestimmten Situationen außerhalb dieser Einrichtungen vorgesehen ist.

Diese Klassen unterliegen unterschiedlichen Regeln und Anforderungen.

Gemeinsam gilt: Sollten die Händedesinfektionsmittel nicht hinsichtlich der Anwendung und den in der Produktbeschreibung und Produktkennzeichnung dokumentierten Daten als generell sichere und wirksame GRAS/GRAE Arzneimittel und Wirkstoffe (GRAS=Generally Recognized As Safe / GRAE= Generally Recognized As Effective) behördlich anerkannt sein oder bestimmten anderen Ausnahmen unterliegen, so werden sie als neues Arzneimittel betrachtet. Adäquate und gut kontrollierte publizierte klinische Studien können zwar eine behördliche Anerkennung des GRAS/GRAE Status unterstützen, spezifische Charakteristika des Produktes, wie z.B. die Verwendung bestimmter Wirkstoffe, können aber dazu führen, dass das Händedesinfektionsmittel als neues Arzneimittel zugelassen werden muss.

Gemäß Section 505(a) des FD&C Act, 21. U.S.C. (United States Code) 355 (a), Necessity of effective approval of application, ist festgelegt, dass ein neues Arzneimittel nicht ohne behördliche Zulassung in den zwischenstaatlichen Handel (interstate commerce) mit den USA eingeführt oder für eine Einführung ausgehändigt werden darf. Ausnahme hiervon wäre z.B. das rechtmäßige Inverkehrbringen gemäß den in Section 505G, Regulation of certain nonprescription drugs that are marketed without an approved new drug application, beschriebenen Bedingungen des FD&C Act.

Section 505G des FD&C Act ermöglichte in der Vergangenheit unter bestimmten Bedingungen die Inverkehrbringung von bestimmten topisch anzuwendenden antiseptischen OTC-Produkten ohne Zulassung. Hierfür mussten diese Produkte u.a. dem vorläufigen finalen Monograph (TFM = Tentative Final Monograph) für topische antiseptische OTC Produkte entsprechen (TFM: Topical Antimicrobial Drug Products for Over-The-Counter Human Use, Proposed Rule 59 FR 31402 [June 17, 1994], 1994 TFM), sowie der 2016 erfolgten Ergänzung des TFM, Safety and Effectiveness of Consumer Antiseptics; Topical Antimicrobial Drug Products for Over-The-Counter Human Use; Proposed Amendment of the Tentative Final Monograph; Reopening of Administrative Record, Proposed Rule, 81 FR 42912 (June 30, 2016) (Consumer Antiseptic Rubs Proposed Rule).

Der TFM von 1994 und die zugehörige Ergänzung von 2016 wurden mit den Feststellungen des 21 CFR Part 310 abgeschlossen, die am 13. April 2020 in Kraft traten. Diese betreffen ausschließlich die sogenannten consumer antiseptic rubs.

Die getroffenen Festlegungen besagen, dass consumer antiseptic rubs für den Fall der Verwendung einer der 28 unterschiedlichen im Amendment von 2016 genannten Wirkstoffe eine Zulassung als Arzneimittel benötigen. Für drei weitere Wirkstoffe, Ethanol, Isopropanol und Benzalkoniumchlorid wird die FDA keine weitere Festlegung von Regeln (rulemaking) treffen, bis entweder der Status “monographiert” oder der Status “nicht monographiert” erreicht ist. Bis zur Erreichung dieses Status sind diese Wirkstoffe gemäß TFM 1994 in die Kategorie III eingeordnet (available data are insufficient to classify as generally recognized as safe and effective, and further testing is necessary). Damit haben auch diese Wirkstoffe keinen GRAS Status und die Produktsicherheit ist mit geeigneten Studien nachzuweisen.

Zu Ausnahmen von der Zulassungspflicht gehört, dass die FDA im März 2020 eine unmittelbar gültige Richtlinie herausgegeben hat, die die Herstellung von bestimmten alkoholbasierten Händedesinfektionsmitteln betrifft und die nur für die Zeit des Corona-bedingten Gesundheitsnotstands Gültigkeit besitzt: Policy for Temporary Compounding of Certain Alcohol-based Hand Sanitizer Products During the Public Health Emergency - Immediately in Effect Guidance for Industry“. March 2020. Updated February 10, 2021. Mit dieser Richtlinie wird bestimmten Apotheken, sogenannten compounding pharmacies, und Firmen, die normalerweise nicht von der FDA reguliert werden, zugesichert, dass auch bei Nichteinhaltung der Guten Herstellungspraxis (GMP) keine Strafmaßnahmen durch die FDA zu erwarten sind, wenn für Herstellung der Händedesinfektionsmittel die in der Richtlinie genannten Bedingungen eingehalten werden.

Jedoch stellt das Inverkehrbringen von neuen Arzneimitteln in den zwischenstaatlichen Handel ohne behördliche Zulassung in den USA einen Verstoß gegen Section 505 (a) und 301 (d) des FD&C Act, 21. U.S.C. 355 (a) und 331 (d), dar und wird als schwerer Verstoß gegen das US-amerikanische Recht entsprechend geahndet (siehe unten).

Welche wesentlichen Anforderungen gelten u.a. für Händedesinfektionsmittel?

Für Händedesinfektionsmittel sind wie für alle anderen Arzneimittel die primär beabsichtigte Wirkung und die Anwendungsspezifikationen festzulegen.

Hierzu gehören u.a. Festlegungen hinsichtlich der desinfizierend wirkenden Substanz(en), der chemisch-physikalischen Zusammensetzung, der Anwendungsmenge, der Art der Aufbringung auf die Hände und der Einwirkdauer des Händedesinfektionsmittels. Beschreibungen wie z.B. „Aufbringen und Verteilen einer nussgroßen Portion des Desinfektionsschaums“ sind in der Regel nicht ausreichend, da es unklar bleibt, ob unter diesen Bedingungen die beabsichtigte Wirkung erzielt wird.

Wie für alle anderen Arzneimittel sind auch bei Händedesinfektionsmitteln Fehlfunktionen und Kontaminationen auszuschließen. Die wesentlichen Leistungs- und Qualitätsanforderungen des Produktes, wie z.B. die Inaktivierung spezifischer Keime oder Viren, sind durch mikrobiologische In Vitro Testungen und/oder durch klinische Studien (In Vivo) wissenschaftlich fundiert nachzuweisen. Die zugehörigen Nachweise für die Leistungs- und Qualitätsanforderungen an das Händedesinfektionsmittel werden im Rahmen der Arzneimittelzulassung von der Behörde geprüft.

Grundsätzlich ist vom Hersteller vor dem Inverkehrbringen in den Markt für jede Charge des Produktes sicherzustellen, dass alle relevanten Qualitätseigenschaften des Produktes den festgelegten Standards und Spezifikationen für die Identität, Wirkstärke, Qualität und Reinheit entsprechen. So muss z.B. für jede Charge des Händedesinfektionsmittels sichergestellt sein, dass der Wirkstoffgehalt korrekt eingestellt ist. Für die Produktion alkoholbasierter Händedesinfektionsmittel bedeutet dies z.B., dass Gehaltsbestimmungen für die eingesetzten Wirkstoff- bzw. Alkoholchargen und für die hergestellten Chargen des Händedesinfektionsmittels durchzuführen sind.

Besonders kritischer Augenmerk der FDA liegt auf dem verbotenen Einsatz von Methanol als Wirkstoff. Methanol kann bei einer Verwendung in Händedesinfektionsmitteln über die Haut aufgenommen werden und toxische Wirkungen entfalten. Einige Hersteller haben sich trotz Verbots dafür entschieden, das im Vergleich mit Ethanol kostengünstigere Methanol im Händedesinfektionsmittel einzusetzen.  Daher führt die FDA für in den US Markt eingeführte Händedesinfektionsmittel verstärkt Kontrollen auf Methanol durch. Auffällig wurde in der Vergangenheit die besonders hohe Zahl Methanol-verunreinigter Händedesinfektionsmittel, die aus Mexiko in die USA importiert wurden.

Weiterhin wird von der FDA die Vergällung alkoholbasierter Händedesinfektionsmittel gefordert, entweder bereits auf der Stufe der einzusetzenden Wirkstoffe (Alkohole) oder im Rahmen der Herstellung („Compounding“) des Händedesinfektionsmittels. Hiermit reagiert die FDA auf die zunehmend hohe Zahl schwerer Vergiftungen entweder auf Grund falscher Verwendung in Form einer oralen Einnahme oder einer unbeabsichtigten Einnahme durch Kinder.

Welche Konsequenzen drohen, wenn Händedesinfektionsmittel ohne die benötigte Zulassung und/oder mit fehlendem Nachweis für Wirksamkeit und Effektivität vertrieben werden?

Wird ein neues Arzneimittel ohne Zulassung oder mit fehlendem Nachweis für die Wirksamkeit und ohne GRAS/GRAE Status vermarktet, wird eine solche Feststellung durch die US-FDA mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Veröffentlichung in einem Warning Letter führen.

Beispiele hierfür sind auf der FDA Homepage unter folgendem link und bei Eingabe der Suchwörter „hand sanitizer“ oder „hand sanitizer AND SARS-CoV-2“ zu finden.

https://www.fda.gov/drugs/warning-letters-and-notice-violation-letters-pharmaceutical-companies/untitled-letters-2021

In den Warning Lettern werden die Verstöße benannt, z.B. als Verstoß aufgrund eines nichtzugelassenen neuen Produktes („unapproved new drug violation“) und/oder als Verstoß aufgrund von Falschkennzeichnung („misbranding violation“). Das Inverkehrbringen der betroffenen Produkte in den US-amerikanischen Markt wird ausdrücklich untersagt. Ein weiterer Verstoß birgt unmittelbare rechtliche Konsequenzen (Gerichtsprozesse, hohe Strafzahlungen, Entfernen der Produkte aus dem US-Markt auf Kosten des Produzenten).

Zusätzlich erfolgt in der Regel auch ein Verbot für das Inverkehrbringen anderer Produkte des betroffenen Herstellers auf den US-Markt. Dies erfolgt aus der Bewertung der FDA heraus, dass bei einem Produkt dieses Herstellers gravierende Verstöße gegen die rechtlichen Anforderungen des FD&C Act gefunden wurden und damit auch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Verstöße bei den anderen Produkten angenommen wird. Damit sind wirtschaftliche Folgen für das betroffene Unternehmen wahrscheinlich.

Es ist also wichtig, potentielle Verstöße gegen regulatorische und rechtliche GMP-Anforderungen bereits in einem frühen Stadium der Produktentwicklung und der Produktion zu erkennen und zu vermeiden, damit nicht unüberlegtes Vorgehen oder falsche Entscheidungen am Ende zum Killer Ihres wirtschaftlichen Erfolgs werden. Unser Pharma Compliance Team hilft Ihnen gerne bei diesen notwendigen Aufgaben.

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